Schriftstellerin Menasse sieht kollektive Gedenkkultur kritisch

Ihr jüngster Roman „Dunkelblum“ erzählt von NS-Verbrechen und der Erinnerungskultur der Nachkriegszeit. Diese entwickelt sich aus Sicht von Eva Menasse in eine falsche Richtung. Sie nennt aber auch Gegenbeispiele.

Die kollektive Erinnerung an die NS-Zeit geht aus Sicht der Schriftstellerin Eva Menasse „in eine komplett falsche Richtung“. Je länger diese Zeit zurückliege, „desto falscher wird es“, sagte die 53-Jährige der Zeitschrift „Psychologie Heute“. „Es wird alles immer schwärzer, größer, unzugänglicher, symbolischer. Auschwitz, der 27. Januar, andere Gedenktage. Bei so viel Schwärze ist eine persönliche Auseinandersetzung kaum noch möglich.“

Mit ihren Romanen wollen sie einen Gegenentwurf schaffen, erklärte die Autorin. Sie sei überzeugt, „dass eine seriöse Beschäftigung immer etwas mit Details zu tun hat, mit Genauigkeit und Ehrlichkeit.“ Im Kleinen und im Lokalen lasse sich eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit „glaubwürdiger anstoßen“.

Deshalb finde sie etwa die „Stolpersteine“ wichtig, betonte Menasse. Das Projekt des deutschen Künstlers Gunter Demnig gilt mit mittlerweile über 100.000 Stolpersteinen als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. „Wenn vor dem eigenen Haus zwei solche Steine sind, erinnert es einen immer mal wieder daran, dass auch aus der Nachbarschaft zwei Menschen vertrieben worden sind, weil sie jüdisch waren. Diese Stolpersteine stellen einen Bezug zum eigenen alltäglichen Leben her.“

80 Jahre nach der NS-Zeit sei es „relativ einfach“, gegenüber diesem Kapitel der Geschichte komplett dicht zu machen – etwa mit Verweis auf aktuelle Probleme wie den Klimawandel, sagte die Schriftstellerin. „Oder man ist mutig genug, sich damit weiter zu beschäftigen“.

Einzelne Menschen könnten durchaus einen Unterschied machen, fügte Menasse hinzu. Dies habe sich auch in der NS-Zeit gezeigt, etwa an Dorfpfarrern, die gegen die Nazis gepredigt hätten: „In unsicheren, uneindeutigen Situationen richten sich Menschen nach moralischen Zeigerfiguren.“ Es gebe keine vorhersehbaren Prozesse oder Unabänderliches. Heute sehe sie durch ständige Online-Diskussionen eine massive Überforderung: „Wie empört und unerbittlich wir geworden sind, wie falsch wir inzwischen vieles bewerten“. Um eigene Positionen zu finden und zu vertreten, brauche es neben Mut auch Zeit.