Rosen in der Wüste

Über Wasser, das Leben spendet, schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.“ aus Jesaja 35, 3-10
Der heiße Wüstenwind ließ die Holztüren klappern und trieb auf der menschenleeren Straße vertrockneten Pflanzenknäuel vor sich her. Gleich würde es zum Showdown kommen, zum Endkampf zwischen sich den Banditen, die dem Ort das Wasser abgegraben hatten, und dem Sheriff, der sich ihnen einsam in den Weg stellt.
Doch wir waren nicht im Kino, sondern unterwegs in der Wüste Negev in Israel und machten eine Pause im Schatten von ein paar Baracken. Der Mann, der uns entgegenkam, entpuppte sich als freundlicher Straßenwärter. Er zeigte uns eines dieser vertrockneten Pflanzenknäuel. Es war eine Rose von Jericho aus der Gattung Anastatica, Wiederauferstehung. Jahrzehntelang kann sie ohne Wasser über­leben, in der Einöde oder im Karton mit der Weihnachtsdekoration. Denn auch in Deutschland ist sie längst heimisch geworden, einst mitgebracht von den Kreuzfahrern als ein Wunder: Wenn dieses vertrocknete graue Knäuel mit ein wenig Wasser in Berührung kommt, öffnet es sich, wird grün und lebt auf.
Dass diese Jericho-Rose zu einer Symbolpflanze für die Advents- und Weihnachtszeit geworden ist, geht auch auf die Propheten zurück, die das Kommen des Messias voraussagten: Einer wird kommen, der die Wüste ergrünen lässt. Der Rache nimmt an denen, die das Wasser des Lebens gestohlen haben. Der auch die Wüsten deines Lebens in blühende Landschaften verwandeln kann.
Weihnachten werden wir wieder die Botschaft der Engel hören, dass wir nicht länger warten müssen. Dass dieser Messias längst eingekehrt ist in deinem und meinem Leben. Können wir das glauben? Ist das lebensspendende Wasser nicht irgendwann verdunstet, und aus der grünen Rose von Jericho wird wieder ein verschrumpeltes, graues Knäuel?
Es gibt ein Symbol, das noch stärker ist als die Wüstenrose. Es ist das Kreuz, Zeichen des Todes schlechthin. Doch unsere Vorfahren haben es überdimensioniert in die großen Kathedralen gehängt, damit keiner übersieht: aus dem toten Holz sprießen neue Triebe, Triebe, die nicht verwelken. Wozu sonst Advent feiern?
Unser Autor
Pastor Tilman Baier
ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.