Er bleibt der “Piano Man”: Billy Joel feiert 75. Geburtstag

Billy Joel hat die Gabe, in perfekten Popsongs kleine Geschichten von Menschen zu erzählen. Nach langer Pause arbeitet der New Yorker mit deutsch-jüdischen Wurzeln an neuen Songs.

Der "Piano Man" in seinem Element: Billy Joel bei einem Auftritt n Tamp (Florida) im Februar 2024
Der "Piano Man" in seinem Element: Billy Joel bei einem Auftritt n Tamp (Florida) im Februar 2024Imago / Zuma Wire°

Billy Joel hatte eigentlich alles gesagt und erreicht. „Ich war das Songschreiben einfach leid“, sagte der US-amerikanische Sänger, Songschreiber und Pianist 2010 einem Fan auf die Frage, warum er keine neuen Stücke mehr schreibe. Sein letztes Album „River of Dreams“ brachte er vor 31 Jahren heraus, vor 17 Jahren folgten noch einige Songs. Dann war lange Pause. Doch in diesem Februar hat sich der Popstar mit der Ballade „Turn the Lights Back on“ zurückgemeldet: Der ewige „Piano-Man“, der große Geschichtenerzähler, der Botschafter seiner Heimatstadt New York, hat die Scheinwerfer wieder angemacht – er ist immer noch da. Am 9. Mai wird er 75 Jahre alt.

Mehr als 160 Millionen Alben hat er in seiner mehr als 50-jährigen Karriere verkauft – und ist damit einer der erfolgreichsten Popkünstler. Der Sohn von Einwanderern hat britische und deutsche Wurzeln: Sein jüdischer Großvater Karl Amson Joel war ein Nürnberger Textilkaufmann, der von den Nazis enteignet wurde und 1938 mit seiner Familie floh.

Billy Joel beobachtet die Menschen genau

Billy Joel beherrscht das Handwerk des Songschreibens: Er beobachtet die Menschen genau, ihre Freuden, ihr Leid und ihre Träume. Und er macht daraus wunderbar einfühlsame Songs: „Just the Way you are“, „Honesty“, „Movin Out“ und 30 weitere Top-40-Hits. Dafür wurde er mit Auszeichnungen überhäuft, darunter fünf Grammys und zahlreiche Ehrendoktorwürden. Und dafür wird der Mann mit der samtweichen und doch kräftigen Stimme von seinen Fans geliebt.

Ein Konzert-Pianist habe er nie sein wollen. „Ich wollte Mädchen kennenlernen, Rock’n’Roll spielen“, erzählte Billy Joel auf einem seiner „Frage-und-Antwort“-Auftritte, die er regelmäßig an Hochschulen oder in Konzerthallen gibt.

Als William Martin Joel wird er 1949 in eine nicht-religiöse Familie in der New Yorker Bronx geboren. Schon als Kind entdeckt er seine Liebe zum Klavier, begeistert sich für Beethoven und die Beatles. Als Jugendlicher lebt er mit seiner Familie auf Long Island, östlich von New York City. Dort tritt er in Bands auf, zieht dann nach Los Angeles und arbeitet als Barpianist.

“Piano Man”: eine wandelnde Musikbox

Im Bierdunst und Stimmengewirr der Kneipen holt sich Joel die Anregungen für seine Songs. Er wird zum „Piano Man“, der die Geschichten seiner Gäste aufsaugt, der zur wandelnden Musikbox, auch zum Seelsorger wird. Davy, „der immer noch in der Navy ist“, und die Kellnerin, die „Politik übt“ sind sein Publikum. Er spielt die Musik, die diese sich wünschen. Der autobiografische Song „Piano Man“ vom gleichnamigen zweiten Album bringt 1973 Joels Karriere in Gang, er ist sein Meisterwerk.

Seiner damals schmutzigen und von Kriminalität und Drogenhandel gebeutelten Heimatmetropole setzt Joel mit der Hymne „New York State Of Mind“ (1976) ein Denkmal. Der künstlerische Durchbruch gelingt ihm aber erst mit dem Album „The Stranger“ (1977), mit einer ganzen Reihe von Pop-Perlen mit intelligenten Texten: „Scenes from an Italian Restaurant“, „Vienna“, „Only the Good Die Young“ und „She’s Always a Woman“. Ein Jahr später hat er mit „52 Street“ sein erstes Nummer-eins-Album.

Leichthändig spielt sich der Pianist und Sänger in seinen zwölf Studioalben durch die moderne US-amerikanische Musik. Er zitiert Jazz, Soul, Gospel, mit dem A-Capella-Song „For The Longest Time“ und „Uptown Girl“ (1983) auch den Doo-Wop-Stil der frühen Rock’n’Roller. In dem Song „Allentown“ (1982) singt er von den Stahlarbeitern des „Rust Belt“ im Nordosten der USA, die ihre Jobs verlieren, in „The Downeaster ‘Alexa’“ (1989) von den Nöten der Fischer Neuenglands.

Auf Tour durch die Sowjetunion

Als erster US-Rockmusiker tourt Joel 1987 durch die damalige Sowjetunion. Sein Song „Leningrad“ vom Album „Storm Front“ (1989) ist ein Friedenszeichen. Dort findet sich auch „We Didn’t Start The Fire“: In stakkatohaft vorgetragenen Schlagzeilen hetzt Joel durch die ängstliche Nachkriegsära – der Song ist eine „kleine Geschichtsstunde“, befand das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Im Jahr 1995 kommt es zu einem denkwürdigen Besuch der Familie Joel in Nürnberg, der alten fränkischen Heimat. Billy Joel gibt dort zwei Gesprächskonzerte, sie sollen eine Geste der Versöhnung sein. Sein Vater Helmut und er improvisieren auf dem Klavier. Helmut Joel sowie die Großeltern Karl und Meta sind in Nürnberg beerdigt.

„Man muss manche Dinge selbst erlebt haben, um darüber schreiben zu können“, sagte Billy Joel bei seinem Auftritt auf der diesjährigen Grammy-Verleihung. Lange Zeit hatte er nur Instrumentalmusik veröffentlicht. Nun werkle er wieder als „Höhlenmensch“ zurückgezogen an neuen Stücken: „Jetzt ist einfach die Zeit dafür, warum sollte ich dagegen angehen?“