Oberammergau rüstet sich für die Passion 2020

Mehr als 500.000 Besucher kamen 2010 nach Oberammergau, um das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu zu sehen. In zwei Jahren ist es wieder soweit. Schon jetzt elektrisiert das Dorf die Frage, wer Jesus und wer Judas wird.

Szenenfoto der Passionsspiele von 2010
Szenenfoto der Passionsspiele von 2010Passionsspiele Oberammergau

Oberammergau. Seit Wochen studiert Christian Stückl abends Antrag für Antrag. Mehr als 1.860 Oberammergauer Bürger haben sich beworben, um bei der 42. Passion 2020 mitzuspielen. "Das sind so viele wie nie zuvor", erzählt der Spielleiter. Und sie alle haben ein Anrecht, auf der Bühne zu stehen. Einige werden in gut 100 Nebenrollen zu sehen sein, ein paar Sätze sagen dürfen; nur 40 werden sich die 20 Hauptrollen teilen. Wer das sein wird, erfahren die Laien-Darsteller, die sich zumeist bei Theateraufführungen in den vergangenen Sommern bewährt haben, und die Öffentlichkeit am 20. Oktober.
Bevor die Namen mit Kreide auf eine große Tafel geschrieben werden, gibt es im Passionsspielhaus einen ökumenischen Festgottesdienst. Zwei Oberammergauer werden stellvertretend das Gelübde von 1633 erneuern, "getreu dem Verspruch unserer Vorfahren", die Passion nach zehn Jahren wieder aufzuführen. Eingedenk dessen, dass es damals gelang, die grassierende Pestseuche von dem Ort abzuwenden. Anders als zuletzt wurde der Termin der Bekanntgabe der Hauptrollen um ein halbes Jahr vorgezogen – aus einem praktischen Grund: Die Schneiderei soll mehr Zeit für die neuen Kostüme haben.

Oberammergauer bauten Hürden auf

Der 56-jährige Stückl trägt zum vierten Mal die Hauptverantwortung für das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu und damit für die Auswahl der Protagonisten. Seine Vorschläge, wer als Jesus, Maria, Pontius Pilatus oder Judas in Erscheinung treten wird, muss er tags zuvor dem Gemeinderat vorlegen. Gibt es dort Vorbehalte, kann der Rat ein Veto einlegen. Dafür braucht es jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit. "Am Ende wird bei Dir noch ein Türke Jesus", musste sich der für seine Offenheit bekannte Theatermann schon anhören.
Dennoch ist Stückl guten Mutes, seine Darsteller durchzubringen, auch einen mit fremdländischem Namen. Bei seinem Stellvertreter Abdullah Kenan Karaca, Jungregisseur mit türkischen Wurzeln und bayerischem Abitur, ist ihm das vorab gelungen. Wenn einer gut spielen kann, dann wissen das die fürs Theater brennenden Einheimischen zu schätzen.
Allerdings bauten die Oberammergauer in den vergangenen Jahrzehnten einige Hürden auf, um bei der Passion unter sich bleiben zu können. Manches davon wurde wieder zurückgenommen, wie etwa der Beschluss, dass nur deutsche Staatsbürger mitspielen dürfen. Denn auf österreichische Ehefrauen, die es im Ort wegen der nahen Grenze öfter gibt, wollte man dann doch nicht verzichten. Bis 1990 dauerte es, bis ein evangelischer Christ und nicht nur ein Katholik den Prolog sprechen durfte. Seit 2000 gilt auf der Bühne Religionsvielfalt. Die Frauen wiederum erstritten sich vor Gericht, dass Heirat und ein bestimmtes Alter kein Ausschlusskriterium mehr sein dürfen.

Gattin des Pilatus wird leibhaftig

Noch aber hält der aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammende Beschluss der Gemeinde, dass man – sollte man nicht in Oberammergau geboren sein – 20 Jahre im Ort leben muss, um mitspielen zu können. Eine Regel, die ausgerechnet den aus Franken zugewanderten Bürgermeister Arno Nunn noch 2010 traf. Sie gibt es übrigens, weil so einst die Heimatvertriebenen von der Passion ferngehalten werden konnten.
Damit mehr Frauen zum Zug kommen, hat sich Stückl allerhand einfallen lassen. Längst taucht die im Evangelium nur im Traum erwähnte Gattin des Pilatus leibhaftig auf. Der Chor, der bisher aus 48 Personen bestand, soll auf 64 Männer und Frauen erweitert werden. Eine Anerkennung für all die musikalisch stark Engagierten. Mit 500 Kindern, die mitmachen wollen, rechnet Stückl. Für sie gibt es keine Auflagen, bis auf die Proben-Disziplin. Wer öfter unbegründet fehlt, fliegt raus.
Herausfordernd dürfte die Arbeit am Text für Stückl und Karaca werden. Als bewährter theologischer Berater steht ihnen der katholische Pastoraltheologe Ludwig Mödl zur Seite. Für dieses "fünfte Evangelium", lobt dieser, sei es Stückl stets gelungen, fast "prophetisch" neue gesellschaftliche Entwicklungen in die Interpretation einfließen zu lassen. Tatsächlich stellt sich für Stückl die Frage: "Was hat das alles mit unserer Zeit noch zu tun?" (KNA)