Hilfe ohne Vorurteile für Prostituierte

Seit Herbst 2017 betreut cara*SH, ein Angebot des Frauenwerks, Prostituierte in ganz Schleswig-Holstein. Ein Gesetz hat möglich gemacht, was Fachstellenleiterin Claudia Rabe schon lange forderte.

Leiterin Claudia Rabe
Leiterin Claudia RabeCatharina Volkert

Kiel/Neumünster. Claudia Rabe holt ihr Smartphone hervor. Und gibt www.cara.sh in ihren Browser ein. Neun Felder zeigt der kleine Bildschirm. Neun Felder, neun Sprachen: Spanisch, Rumänisch, Thailändisch beispielsweise. Muttersprachen von Prostituierten in Schleswig-Holstein. 
Wer seine Sprache wählt, gelangt zu Themen wie Gesundheit, Finanzen, Recht. „Unsere Internetseite ist ein Herzstück unserer Arbeit“, erklärt Claudia Rabe, Leiterin der Fachberatungsstelle cara*SH und Mitarbeiterin des Frauenwerks der Nordkirche. Denn: www.cara.sh lässt keine Fragen offen für einen Bereich, in dem es viele Unsicherheiten gibt. Im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein berät cara*SH Prostituierte. 
Zu dem Projekt gehören drei Sozialpädagoginnen und eine Juristin, ihr Büro ist in Neumünster. Ohne ihren Kleinbus wäre ihre Arbeit jedoch nicht möglich, sie suchen Prostituierte vor Ort auf – und das in ganz Schleswig Holstein. „Wir klopfen an die Türen, hinterlassen dann häufig Tütchen mit Info-Materialen, wenn niemand öffnet“, schildert Rabe ihre Arbeit. „Wichtig ist uns, dass wir uns bekannt machen und dass wir Vertrauen aufbauen.“ 

Betreuung immer zu zweit

Immer zu zweit sind sie, immer bemüht, eine Muttersprachlerin oder eine vertraute Dolmetscherin mit dabei zu haben. Falls es doch Verständigungsschwierigkeiten gibt, hilft die Website. „Wir verwenden die Internetseite auch für unsere Arbeit“, erzählt Claudia Rabe. „Wir haben alles erklärt – woher sollen sie denn sonst wissen, was sie machen sollen?“ Wirklich alle Fragen, die Prostituierte haben könnten, haben sie dafür zu Beginn des Projekts gesammelt und übersetzen lassen. Da geht es dann auch um Steuern, Aufenthalt und EU-Recht.
Ein Kapitel des Internetauftritts heißt auch: „Das neue Gesetz“. Jenes Gesetz ist das Prostituiertenschutzgesetz – und das ist der Grund, weshalb es cara*SH gibt. Denn das Gesetz braucht Erklärung – es verlangt beispielsweise die Anmeldung der Frauen und Männer oder regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen. 
 „Es ist aber auch ein neuer Druck durch das Gesetz entstanden“, erzählt Rabe. Anmeldung, Steuern zahlen, all das verunsichert. „Das Gesetz allein schützt nicht. Es braucht Maßnahmen wie die vertraulichen Angebote durch cara*SH“, sagt sie. „Als Frauenwerk der Nordkirche war es uns immer ein Anliegen, dass es eine derartige Beratungsstelle gibt“, sagt Rabe. Dort gibt es bereits seit 1999 die Fachstelle „contra“, in der gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution gearbeitet wird. Da ein differenzierter Umgang mit Prosttution und deren Hintergründen notwendig sei, habe man immer wieder eine reine Beratungsstelle gefordert – die schließlich das Schutzgesetz brachte. 

Eigene Erwartungen übertroffen

Prostitution, das ist ein höchst umstrittenes Thema. „Es gibt Leute, die sagen, dass sie es nicht glauben, dass es freiwillige Prostituierte gibt“, erklärt Claudia Rabe. Andere sprechen allein herablassend von diesen Frauen und Männern. Rabe weiß um diese Vorurteile. Während ihrer Beratung kämen sie jedoch nicht vor, meint sie. „Wer zu uns kommt, ist herzlich willkommen“, sagt Rabe. „Wir bewerten nicht. Prostitution bedeutet für uns Erwerbsarbeit.“ Frauen, Männer, Transgender – Menschen werden so genommen, wie sie sind. 
Die Schätzungen, wie viele Prostituierte es gibt, gehen weit auseinander. Etwa 1400 sind gemeldet, vielleicht gibt es doppelt so viele, vielleicht noch mehr. „Drei Viertel der Menschen sind Reisende, sie sind in einem Monat in Schleswig-Holstein, dann vielleicht in München“, erklärt Rabe die Problematik. „Einige beispielsweise prostituieren sich täglich, andere einmal im Monat.“ 
Das Team von cara*SH hat mittlerweile mehr als 220 Beratungssgespräche geführt – und damit die eigenen Erwartungen übertroffen. Sie habe immer gehört, dass es schwer sei, Vertrauen aufzubauen, erzählt Rabe. „Aber wir haben immer viel zu tun. Es wird so gut angenommen.“