EU-Richter schränken kirchliches Arbeitsrecht ein

Der Fall beschäftigte lange die deutsche Justiz. Jetzt haben die höchsten EU-Richter ein Urteil gesprochen – doch geschlossen ist die Akte zur Kündigung eines katholischen Chefarztes noch nicht.

Annette Zöpf / epd

Brüssel/Luxemburg. Ein seit 18 Jahren in einem katholischen Krankenhaus arbeitender Chefarzt darf auf Weiterbeschäftigung hoffen, obwohl er eine kirchenrechtlich ungültige Ehe eingegangen ist. Das folgt aus einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Das Urteil könnte weit über den konkreten Fall hinausweisen und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen relativieren. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz pocht deshalb gegenüber den EU-Richtern auf das Grundgesetz.
Der Mediziner hatte sich 2005 von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden lassen und 2008 erneut geheiratet. Darauf folgte die Kündigung. Begründung: Er habe seine Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber massiv verletzt. Schließlich ging er mit der neuen Partnerin eine nach kanonischem Recht ungültige Ehe ein – keine Lappalie für die Kirche, die das in ihrer Grundordnung zu kirchlichen Arbeitsverhältnissen von 1993 ausdrücklich als Kündigungsgrund aufführte.

Sieg für katholischen Arzt

In Deutschland war die Kündigungsschutzklage bis zum Erfurter Bundesarbeitsgericht (BAG) hinauf erfolgreich, das Bundesverfassungsgericht hob dessen Urteil aber auf. Karlsruhe sah die kirchliche Selbstbestimmung zu wenig berücksichtigt. Das BAG wandte sich daraufhin an die europäischen Richter, damit sie das einschlägige EU-Gesetz auslegen. Diese schlugen sich nun weitgehend auf die Seite des Arztes. Denn dass dessen konkrete Tätigkeit genug mit der katholischen Ehelehre zu tun habe, um die Entlassung zu rechtfertigen, bezweifelten sie. 
Allerdings ist das der Kirche selbst gar nicht mehr so wichtig. Die Grundordnung zu den Arbeitsverhältnissen wurde nämlich 2015 geändert. Nach der neuen Grundordnung wäre der Fall "anders zu beurteilen", betonte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) nach dem Urteil. Ihr wie auch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geht es aber längst nicht nur um den konkreten Fall. Die Kirchen genießen in Deutschland eine vom Grundgesetz geschützte Selbstbestimmung. Und der Lissabon-Vertrag wiederum achtet die besondere Stellung der Glaubensgemeinschaften in allen EU-Mitgliedstaaten. Gespannt wartete man deshalb in Deutschland darauf, wie der EuGH im Chefarzt-Fall mit diesem Thema umgeht. 
Der katholischen Kirche geht das Luxemburger Urteil in dieser Hinsicht zu weit. "Die Deutsche Bischofskonferenz sieht das Urteil des EuGH kritisch, weil die verfassungsrechtliche Position, die den Kirchen nach dem Grundgesetz zukommt, nicht ausreichend berücksichtigt wurde", erklärte der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer. Man wolle nun die Urteilsgründe analysieren und die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abwarten. "Anschließend muss geprüft werden, ob die Entscheidungen mit den Vorgaben des Grundgesetzes in Einklang stehen."

Gravierende Folgen möglich

Die EKD sieht durch den EuGH das Recht der Religionsgemeinschaften auf ein eigenes Arbeitsrecht bestätigt. "Es ist danach Sache der Kirche, nicht der staatlichen Gerichte, aus ihren religiösen Grundsätzen selbst festzulegen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert und welches Gewicht gegebenenfalls ein schwerer Loyalitätsverstoß hat", erklärte eine Sprecherin in Hannover.
Für einschneidend hingegen hält das Urteil der Göttinger Kirchenrechtler Hans Michael Heinig. In der Praxis werde es zwar nicht sehr viel ändern. Denn der Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegewesen zwinge die Kirchen ohnehin, bei ihren "arbeitsrechtlichen Idealvorstellungen" Abstriche zu machen, meint der Göttinger Juraprofessor, der auch Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD ist. Doch zugleich habe der EuGH "das bisherige System des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland, die bisher vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Grundkoordinaten, wie erwartet verworfen". Die langfristigen Folgen könnten "gravierend sein, wenn das Europarecht sich weigert, auf die Eigenarten des Religiösen Rücksicht zu nehmen", warnt Heinig.
Geschlossen sind die Akten mit dem Luxemburger Urteil nicht. In seinem Lichte muss jetzt das BAG den konkreten Fall entscheiden. Denkbar ist aber auch ein erneuter Gang zum Verfassungsgericht nach Karlsruhe. Dann könnte es sogar zu einem noch nie dagewesenen Konflikt zwischen den höchsten Richtern Deutschlands und der Europäischen Union kommen. (epd)