Ein Plädoyer für das duale Studium

Ein Beispiel aus der Jugendhilfe Collstede zeigt: Die duale Ausbildung aus Theorie und Praxis ist eine gute Vorbereitung auf den Beruf. Auch Quereinsteiger erhalten hier eine Chance. Zwei Studenten berichten.

Ayleen Henschel und Timo Zieseniß studieren und arbeiten gleichzeitig
Ayleen Henschel und Timo Zieseniß studieren und arbeiten gleichzeitigKerstin Kempermann

Bockhorn/Eggeloge/Wilhelmshaven. Dass sie einmal so viel über das Zugnetz in Deutschland wissen würde, hat Ayleen Henschel nicht geahnt, als sie ihr duales Studium „Soziale Arbeit“ bei der Jugendhilfe in Collstede begann. Drei Tage in der Woche arbeitet die 25-Jährige in Eggeloge in einer therapeutischen Wohngruppe für Kinder und Jugendliche mit Asperger-Autismus.
„Diese Kinder haben eine ganz besondere Art, andere Menschen wahrzunehmen. Empathie fällt ihnen schwer. Dafür haben sie oft großes Spezialwissen in bestimmten Bereichen und sind sehr intelligent.“ Bei einem der Bewohner, die zwischen 10 und 17 Jahre alt sind, ist es das Zugnetz in Deutschland, das sein besonders Interesse weckt. Er kennt alle Haltestellen und kann sie in der richtigen Reihenfolge ansagen.

Straffer Zeitplan

Gemeinsam mit dem Team der Wohngruppe gehört es zu Henschels Aufgaben, die Kinder durch ihren Alltag zu begleiten und ihnen Struktur zu geben. „Eine geregelte Struktur ist für unsere Kinder und Jugendlichen besonders wichtig“, erzählt Henschel. Aber auch sie selbst muss gut organisiert sein, um ihr dreijähriges duales Studium zu absolvieren. 
Montags und dienstags ist Ayleen in den Hörsälen der Berufsakademie Lüneburg anzutreffen. Dort lernt sie die Theorie für den Bachelor in „Sozialer Arbeit“. Die anderen drei Tage in der Woche sind Arbeitstage. „Und dann muss ich natürlich noch Hausarbeiten schreiben und für die Klausuren lernen.“ Trotz dieser Verdichtung schätzt Ayleen Henschel den dualen Studiengang, den sie im September 2016 begonnen hat. „Ich kann die Theorie einfach gleich in der Praxis anwenden.“ 

Sicher im Asylrecht

Das geht auch Timo Zieseniß so. Er hat sein duales Studium im Oktober 2017 begonnen. Die Theorie findet für ihn in Wilhelmshaven statt, an der dort entstehenden Berufsakademie. Anwenden kann er sein Wissen in der mobilen Betreuung der Jugendhilfe Collstede. In der mobilen Betreuung hilft er den jungen Erwachsenen, den Schritt von den betreuten Wohngruppen zur Selbstständigkeit zu gehen. Ob Behördengänge, Finanzen oder Berufsfindung – gemeinsam mit seinem Anleiter ist Zieseniß für die Jugendlichen Ansprechpartner bei allen Herausforderungen im Alltag.
Auch im Asyl- und Aufenthaltsrecht muss er sich auskennen. Denn viele der jungen Erwachsenen sind als unbegleitete Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. „Nicht nur das Asylrecht. Das Thema Recht überhaupt ist in der Ausbildung sehr wichtig“, erzählt Zieseniß. Familienrecht und Jugendrecht sind dabei besonders wichtig. „Wir lernen Dinge aus den unterschiedlichsten Bereichen, denn die Arbeit in der Jugendhilfe ist sehr vielfältig“, ergänzt Ayleen Henschel.
Neben den rechtlichen Grund­lagen geht es im Studium um die verschiedenen Handlungsfelder sozialer Arbeit, Psychologie, Pädagogik, Unternehmensformen, Kriminologie und natürlich um die Geschichte der sozialen Arbeit. So wichtig diese Theorie auch ist. Henschel und Zieseniß meinen beide, dass die direkte Verknüpfung mit der Praxis das duale Studium attraktiv mache. Und das nicht nur, weil sie so schon während der Ausbildung Geld verdienen könnten, sondern weil sie einen besseren Einblick in die Arbeit bekämen. „Ich weiß jetzt, in der Jugendhilfe bin ich richtig“, fasst Henschel es zusammen.

Chance für Quereinsteiger

Für Jan Praßel, Einrichtungsleiter beim Diakonischen Werk Oldenburg, sind die Erfahrungen mit dem dualen Studium ebenfalls überzeugend. Für diesen Sommer sind die beiden Plätze bereits vergeben. „Über das duale Studium haben wir als Arbeitgeber auch die Möglichkeit, Quereinsteigern eine Chance zu geben“, freut sich Praßel.
Das trifft auch bei Henschel und Zieseniß zu, beide hatten zuvor schon eine Ausbildung abgeschlossen. „Die Berufs- und Lebenserfahrung, die sie mitbringen, ist eine Bereicherung für die Kinder und Jugendlichen und die Kollegen“, betont Praßel.