Dieser Kantor überwindet spielend Grenzen

In Polen leitet Tomasz Witkowski eine Musikschule und spielt Orgel in Kirchen. In der deutschen Region Gartz/Penkun ist er seit 2018 ebenfalls als Organist im Einsatz. Im Interview verrät der 29-Jährige, wie die Arbeit in zwei Ländern gelingt.

Kantor Thomas Witkowski in der Penkuner Kirche
Kantor Thomas Witkowski in der Penkuner KircheSybille Marx

Herr Witkowski, ist es nicht anstrengend, als Musiker in zwei Ländern zu arbeiten?
Eigentlich nicht. Es ist immer eine neue Erfahrung, macht mir immer viel Spaß. Man kann eine neue Kultur lernen, die Sprache verbessern und viele nette Menschen kennenlernen. Alles bringt mir neue Energie! Reizvoll an der Vertretungsstelle in Pasewalk finde ich auch, dass die Orgel besonders schön ist, ganz kräftig und was auch wichtig ist: gut gepflegt!
Was ist für Sie der größte Unterschied zwischen den deutschen und den polnischen Gottesdiensten, in denen Sie Orgel spielen?
In Polen begleite ich die MESSEN der katholischen Kirche, darum ist es ein großer Unterschied. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich leider viel verändert, besonders an der Rolle des Organisten. In der Messe ist er nur noch die Begleitung für den Priester, der verschiedene Dinge am Altar tut. Am protestantischen Gottesdienst gefällt mir, dass es extra Zeiten für die Musik gibt. Alle setzen sich, wissen, wie viele Strophen zu singen sind, haben die Noten. Vorspiel und Nachspiel nehmen auch eine große Rolle ein. Die Musik nimmt insgesamt viel mehr Raum ein.
Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Sie an einer Orgel sitzen und im Gottesdienst spielen?
Die Orgel ist ein wunderschönes Instrument. Sehr unterschätzt. Mit ein paar Fingern kann man schon das ganze Orchester haben! Man kann viele Emotionen hervorbringen. Man muss aber auch so klar spielen, dass alle – auch die nicht so musikalischen – meine Intonationen oder Emotionen verstehen können. Das ist sehr anspruchsvoll.
Welche Musik macht Sie glücklich?
Nicht nur Orgelmusik natürlich. Ich mag Musik, die gut ist, eine gute Qualität hat. In jedem Stil gibt es solche Stücke. Buxtehude ist gut, Mahler ist gut, aber auch Kraftwerk, Bob Dylan und die Beatles. Das kann man nicht vergleichen. Jeder Stil bringt mir etwas Neues.
Wie reagieren Menschen in Polen, wenn Sie auf einer Party erzählen, dass Sie als Kirchenmusiker in Deutschland spielen?
Auf einer Party kommen da keine besonderen Reaktionen. Aber ich bin Katholik. Die Priester in den Pfarrämtern, in denen ich früher arbeitete… da ist es schon anders, da gäbe es viel zu erzählen. Alle kennen wir die Geschichte: Weltkriege, schwere Nachbarschaft, religiöse Unterschiede. Aber ich sage immer, wir sprechen zusammen eine Internationale Sprache. Die Musiksprache. Es gibt auch einen Gott. Er hat viele Namen: Papa, Mama, Buddha, Thor, Zeus. Jeder hat seinen eigenen Gott.
Bitte vervollständigen Sie den Satz: „Gott ist für mich….“
Arbeitgeber. Nein, ich scherze natürlich. Ich bin kein Philosoph, ich glaube, ich bin gar nicht befugt, solche Fragen zu beantworten (lacht). Er muss aber vielleicht wichtig sein und allmächtig, oder? Und wenn es keinen Gott gäbe, hätten Sie kein Interesse, den weiten Weg hier nach Penkun zu machen und mich zu interviewen, und ich wäre vielleicht auch nicht da, wo ich heute bin.
Könnten Sie sich vorstellen, nur noch in Deutschland zu arbeiten und zu leben?
Deutschland ist für die Kirchenmusik ein wunderschöner Ort. Alles ist so klar und geregelt. Die Stufen der Organisten – D,C,B je nach Ausbildung -, die Bezahlung, der Urlaubsanspruch… In Polen ist es noch bisschen ungeregelt, unsicher. Es wurde schon viel getan, um die Kirchenmusikerstellen zu verbessern, aber es wird noch dauern.
Es gibt ein schönes polnisches Lied aus den 80er Jahren – „Frage mich nicht nach Polen“. Das hier ist der Refrain und dem stimme ich sehr zu:
Frag mich nicht, warum ich
bei ihm bin,
Frag mich nicht, warum nicht bei einem anderen,
Fragen Sie mich nicht, warum ich das denke,
Dass es für mich keine anderen Orte gibt.
Frag mich nicht, was ich noch in diesem Land sehe,
Fragen Sie mich nicht, warum nicht in einem anderen,
Fragen Sie mich nicht, warum ich das noch will:
Darin schlafen und aufwachen.
Was könnten deutsche Protestanten von polnischen Katholiken lernen und umgedreht?
Die Katholiken könnten von den Protestanten die Bindung an die Tradition lernen: Es hat sich nicht viel verändert in der Liturgie seit ein paar hundert Jahren bei den Protestanten oder? Der Protestantismus, das Evangelisch-Sein bedeutet ja, wie man an den Wörtern sehen kann: Protest und Rückkehr zum Evangelium. Ich glaube, der Protestantismus ist gesünder fürs Leben, etwa im Blick auf die Familie (die Apostel hatten Frauen). Aber den Protestanten fehlen manchmal traditionelle Riten für besondere Tage. Die katholische Kirche feiert da viel mehr. Die gesamte Liturgie in der Passionszeit zum Beispiel dauert am Gründonnerstag drei Stunden mit Fußwaschung; am Karfreitag drei Stunden mit Kreuzküssen und Passionslesen in verschiedenen Rollen, ohne Orgel; am Sonnabend über vier Stunden (ab 22 Uhr) mit Liturgie des Lichts, Gesang, Glocken…
Das muss man einmal miterleben! Ich empfehle jedem Protestanten, an solchen Tagen mal die Katholische Kirche zu besuchen und mitzufühlen.