Diebstahl, Mord und Hexerei

Wer denkt, dass es im Spätmittelalter auf der Klosterinsel Reichenau ruhig und beschaulich zuging, irrt.
Ob Nachbarschaftsstreit, Diebstahl, Mord, Hexerei oder sexuelle Übergriffe: 150 Kriminalfälle aus den Jahren 1450 bis 1590 sind im sogenannten „Malefizbuch“ beschrieben, das im Mittelpunkt einer Präsentation im Generallandesarchiv Karlsruhe steht. Die Schau „Spurensuche… eine Kriminalitätsgeschichte der Reichenau“ ist bis zum 9. August zu sehen, als Korrespondenzausstellung zur Großen Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ in Konstanz.

Im Malefizbuch seien Übeltaten und Verbrechen, aber auch Unglücksfälle der „einfachen Menschen“ im Spätmittelalter beschrieben, sagte Kurator Rainer Brüning am Donnerstag vor Journalisten in Karlsruhe. Es sei ein wertvolles Zeugnis über „Leben und Leiden, ihre Gefühle und soziale Lage“ von Bauern und Handwerkern.

Nach der Säkularisation 1803 war das gesamte Klosterarchiv der Reichenau nach Karlsruhe gebracht worden. Es enthält wertvolle Schätze aus mehr als 1.000 Jahren Geschichte. Auch Dokumente und Bilder zur Geschichte der Reichenau im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit sind zu sehen. Darunter seien auch Funde von der neuesten archäologischen Grabung an der Richtstätte zu Allensbach, wie eine eiserne Kette.

Die Exponate verdeutlichten, wie zeitgebunden Konzepte von Recht und Gerechtigkeit seien, und wie schwierig es sei, sich ein Urteil zu bilden, sagte Bruning. Auch wenn die Fälle so ähnlich auch noch heute geschehen könnten, damals seien Geständnisse unter Folter erpresst worden. Je nach sozialem Status seien die Strafen völlig unterschiedlich ausgefallen, vom einfachen Wallfahrts-Bußgang bis zur Hinrichtung. Zudem hätten Fremde drakonischere Strafen erhalten als Einheimische.

Mit dem Verständnis von Recht und Gerechtigkeit habe sich damals bereits der Jurist und Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592) befasst. Als ein durch den Bodenseeraum reisender Augenzeuge sorgte er sich um das Schicksal der „Hexen“ in seiner Nachbarschaft. Vielleicht rege die Ausstellung Besucherinnen und Besucher auch an, sich mit den eigenen Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zu beschäftigen, so Kurator Brüning.

Gezeigt wird beispielsweise ein Dokument über den bereits damals vorhandenen Antisemitismus. So musste ein Allensbacher Bürger schriftlich einräumen, Kredit- und Handelsgeschäfte mit Juden getätigt zu haben, obwohl dies damals laut bischöflicher Anordnung verboten war. Er musste mit seiner Unterschrift versprechen, dies nicht mehr zu tun und „fleißiger als bisher die sonntäglichen Gottesdienste zu besuchen“.

Dass der Katholizismus trotz der Reformation weiter in der Region tonangebend war, zeigt das Beispiel des Wollmatinger Bürgers Claus Huplin. Dokumentiert wurde sein Eingeständnis, dass er trotz kaiserlichen Verbots lutherische Bücher gekauft und gelesen sowie „unschickliche Reden gegen die Geistlichkeit“ gehalten hatte. (0872/25.04.2024)