Deutschlands Musikschulen vor massivem Umbruch

Es war ein wegweisendes Urteil des Bundessozialgerichts: Honorarkräfte an Musikschulen müssen sozial besser abgesichert werden. Doch die Umsetzung des Urteils bereitet vielen Musikschulen und Kommunen Bauchschmerzen.

Deutschlands Musikschulen stehen vor einen massiven Umbruch. „Musikschule Rendsburg im Dilemma“ oder „Urteil setzt Musikschule Chemnitz unter Druck“ – so lauten in diesen Tagen die Überschriften mancher Lokalzeitungen. Ursache ist ein Urteil des Bundessozialgerichts vom Juni 2022, das in diesen Monaten seine Wirkung entfaltet. Es geht um die arbeitsrechtliche Stellung der freiberuflichen Lehrkräfte.

Auslöser ist der Fall einer Klavierlehrerin aus Herrenberg (Baden-Württemberg), die jahrelang bei der Stadt als Honorarkraft beschäftigt war. Die Rentenversicherung sah in ihrem Status eine Scheinselbstständigkeit und forderte die nachträgliche Zahlung von Sozialabgaben. Das Bundessozialgericht sah das genau so und befand, dass bei Lehrkräften an Musikschulen die Spielräume für freies unternehmerisches Gestalten gering seien. Die Lehrkräfte seien vielmehr weisungsgebunden in den Musikschulbetrieb eingegliedert.

Die Musikschulen laufen also künftig Gefahr, dass bei einer Betriebsprüfung die Scheinselbstständigkeit der Honorarkräfte festgestellt wird und sie hohe Summen an Sozialabgaben nachzahlen müssen, wie Claudia Wanner vom Verband deutscher Musikschulen am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. Der Verband, in dem 933 öffentliche Musikschulen zusammengeschlossen sind, hat deshalb eine eindeutige Empfehlung: Die Schulen sollen auf die Beschäftigung von Honorarkräften verzichten.

Bei den öffentlichen Musikschulen im Land, ihren mehr als 36.000 Lehrkräften, davon 45 Prozent Honorarkräfte, und den Kommunen hat das Urteil Alarm ausgelöst. Nun gibt es erste Musikschulen, die der Argumentation der Richter folgen und auf Honorarkräfte verzichten wollen.

Mit positiven und negativen Folgen: Einerseits gibt das Urteil den Lehrenden die Möglichkeit, in der gesetzlichen Rentenkasse gegen drohende Altersarmut abgesichert zu sein. Andererseits stellt es die Träger vor finanzielle Herausforderungen – insbesondere finanzschwache Kommunen und Kulturräume.

Die städtische Musikschule in Leipzig hat laut Medienberichten bereits zum 1. Januar 147 Honorarkräfte in feste Anstellungsverhältnisse überführt. Auch die Stadt Sankt Augustin bei Bonn plant, ab August nur noch Lehrkräfte in Festanstellung zu beschäftigen.

Doch das ist teuer: Im Kulturausschuss von Sankt Augustin wurde vorgerechnet, dass die Stadt mit jährlich 266.500 Euro Mehrkosten plant. 120.000 Euro soll die Stadt als Zuschuss zahlen, der Rest wird über eine Gebührenerhöhung für die Musikschüler von im Schnitt 20 Prozent finanziert, bestätigt Pressesprecher Benedikt Bungarten. Die gute Nachricht: Die Stadt möchte die neu geschaffenen Stellen „möglichst […] aus den Reihen der Honorarkräfte“ besetzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle automatisch übernommen werden.

Doch auch nicht alle Honorarkräfte sind mit diesem Schritt zufrieden, wie das Leipziger Internetmagazin „kreuzer“ im Oktober berichtete. Fast 70 Prozent der Lehrkräfte an der städtischen Musikschule Johann Sebastian Bach arbeiten bisher auf Honorarbasis. Sie sind Berufsmusikerinnen und -musiker und haben noch andere Standbeine, unterrichten an anderen Schulen, spielen Konzerte oder verdienen Geld mit Firmenfeiern und Hochzeiten.

Doch die Vertreter der Honorarlehrkräfte sehen keine Verbesserung. „Die Honorarlehrkräfte jetzt in eine Mikro-Anstellung mit Sozialversicherungspflicht zu überführen, ohne Aufstockung der Stunden-Kontingente der Betroffenen, ändert weder an ihrer sozialen noch an der finanziellen Unsicherheit etwas“, erklären sie laut Magazin. „Das Einkommen so einer Mikro-Stelle, wie es aktuell geplant ist, entspricht für sechs Unterrichtseinheiten wöchentlich einem Jahreseinkommen von 6.912 Euro brutto – monatlich also 576 Euro.“ Zudem seien die Lehrkräfte innerhalb einer Festanstellung weisungsgebunden und hätten feste Arbeitszeiten. Das wiederum führe zu Schwierigkeiten mit anderen beruflichen Standbeinen.

Ein Dilemma, das auch durch Kürzungen in den Kulturetats der Länder und Kommunen verschärft wird. In NRW etwa wurde 2023 der Kulturetat um 7,5 Millionen Euro gekürzt. Aus Sicht des Sprechers der Fachgruppe Musik der Gewerkschaft Verdi, Martin Ehrhardt, ist deshalb die Politik gefragt, um für die ausreichende Finanzierung der Musikschulen zu sorgen.