Corona, der „Turbokrebs“ und der Journalismus

Das ist unsere Aufgabe als Journalist:innen: Wir berichten fair, ausgewogen und ordnen die Informationen ein. Das ist nicht immer leicht, aber es ist unerlässlich. Ein Kommentar von Matthias Gülzow.

Eine Dosis Impfstoff gegen das Coronavirus
Eine Dosis Impfstoff gegen das CoronavirusImago / Nur Photo

Vor einigen Tagen veröffentlichten wir einen Artikel, in dem eine Ärztin, ein Arzt und zwei Chemieprofessoren einen Zusammenhang zwischen der Corona-Impfung und einem schnellen und tödlichen Verlauf von Krebserkrankungen („Turbokrebs“) suggerierten. Die Gegenposition wurde nicht ausgewogen dargestellt. Unserer Redaktion und auch dem Evangelischen Pressedienst, der den Artikel produziert hatte, waren diese Probleme zunächst nicht aufgefallen.

Spannend wurde es, nachdem wir unseren Fehler bemerkt, den Artikel von der Seite genommen und Zitate vom Robert-Koch-Institut an die Stelle gesetzt hatten. Tenor des RKI: Niemand konnte bisher einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Corona-Impfungen nachweisen. Seitdem hagelt es freundlich-belehrende, weniger freundliche und beleidigende Nachrichten. Zeit für ein paar Klarstellungen.

Dr. Matthias Gülzow ist Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes Norddeutschland und einer der drei Herausgeber:innen von www.evangelische-zeitung.de
Dr. Matthias Gülzow ist Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes Norddeutschland und einer der drei Herausgeber:innen von www.evangelische-zeitung.deStudioline

Erstens: Niemand hat uns gezwungen, den Artikel zu löschen, der Staat nicht, keine Gesellschafter, keine Nachrichtenpolizei. Zweitens: Natürlich kennt das RKI auch keine „Wahrheit“, denn es gibt in den Naturwissenschaften keine Wahrheit. Es gibt immer nur Theorien, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als nützlich erweisen, bis sie im Bedarfsfall durch neue Theorien ersetzt werden. Drittens: Wir lesen jede kritische Nachricht, solange sie ein paar Grundsätze der respektvollen Kommunikation erfüllt. Viele schicken uns Links zu Studien mit. Bisher war keine dabei, die den einfachen Regeln der Statistik folgt – die reliabel, valide und repräsentativ ist, den bewährten peer-review Prozess durchlaufen hat und einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Corona-Impfungen wahrscheinlich erscheinen lässt.

Wenn Menschen sterben

Sollten wir über die Ärzt:innen berichten, die einen Zusammenhang zwischen der Impfung und Krebs befürchten? Natürlich! Und natürlich müssen wir diese Information dann einordnen: Wenn 77,9 Prozent der Menschen in Deutschland geimpft sind, dann ist auch die Mehrheit der Menschen geimpft, die an Krebs sterben. Und berichten wir, wenn eine Studie den genannten Kriterien entspricht und einen Zusammenhang zwischen Krebs und Corona-Impfung nahelegt? Natürlich! Aber bis dahin halten wir uns fern von allen Begriffen, die Zusammenhänge suggerieren, die schlicht nicht bewiesen sind. Und veröffentlichen keine Artikel, in denen Informationen nicht richtig eingeordnet werden. Auch wenn es schwerfällt, denn immer wenn Menschen sterben, ist der emotionale Druck der Beteiligten so verständlicherweise immens.