Christi Leib – auch für Kinder gegeben?

In vielen mecklenburgischen Gemeinden ist es längst üblich, in Altentreptow zögert man noch: Sollen Kinder schon vor der Konfirmation das Abendmahl bekommen?

Kinder beim Abendmahl, hier in Knesebeck (Niedersachsen)
Kinder beim Abendmahl, hier in Knesebeck (Niedersachsen)Jens Schulze / epd

Altentreptow/Steinhagen/Klatzow.  Der berühmte Kirchenvater Augustinus fand es selbstverständlich: dass Kinder am „Tisch des Herrn“ Brot und Wein bekommen – genauso wie erwachsene Christen. „Es sind Kinder, aber sie werden zu Gliedern von ihm“, schreibt er im 4. Jahrhundert. „Es sind Kinder, aber sie empfangen seine Sakramente. Es sind Kinder, aber sie werden zu seinen Tischgenossen, damit sie das Leben haben.“
Heute, 17 Jahrhunderte später und gut 1700 Kilometer weiter nördlich, ist die Lage komplizierter – in der Gemeinde Altentreptow zum Beispiel, zu der auch Elisabeth Prinzler gehört. Fünf Kinder zwischen eins und zehn Jahren hat die Kantorin. Wann immer sie in ihrer alten Heimat Sachsen den Gottesdienst besucht, erlebt sie: Ihre Kinder werden dort eingeladen, am Abendmahl teilzunehmen. „Und die lieben das“, sagt sie. Abendmahl sei für sie etwas Besonderes. 

Ein Segen für Kinder

Doch in Altentreptow gilt wie in vielen Pommerschen Gemeinden noch die Regel: erst Konfirmation, dann Abendmahl. Die Kinder müssten ja verstehen, was in dem Sakrament geschieht, heißt es. Eine Auffassung, die bis ins 12. Jahrhundert zurückgeht und erst seit den 1970er-Jahren in der Evangelischen Kirche wieder hinterfragt wird. 
Immerhin, einen Segen am Abendmahlstisch können die Kinder in Altentreptow von Pastor Michael Giebel bekommen. „Das wollen meine aber nicht“, erzählt Elisabeth Prinzler. Sie spürten, dass das nicht dasselbe sei. Auch Michael Giebels älteste Tochter, die früher in der Greifswalder Johannesgemeinde schon das Abendmahl schmecken  durfte, reagiert so. „Sie fühlt sich ausgeschlossen“, erzählt der Pastor – und er fragt sich, ob das so bleiben muss. 
Natürlich: Jede Gemeinde hat ihre eigenen Traditionen, in Sachen Kinder-Abendmahl darf der Kirchengemeinderat entscheiden. „Mir geht es nicht darum, einfach etwas von Greifswald auf Altentreptow zu übertragen“ sagt Giebel. Und auch nicht darum, nur für seine und Prinzlers Kinder eine Lösung zu finden. Aber durch sie stelle sich die Frage: Wieso machen wir das eigentlich so? Was zeigen wir damit? Wollen wir das?

"Nicht irgendein Essen"

Im vergangenen Sommer lud Giebel Barbara Schlicht als Referentin für die Arbeit mit Kindern im Pommerschen Kirchenkreis zu einem Abend mit den Kirchenältesten ein. Schlicht, die persönlich für die Öffnung des Abendmahls ist, zeigte auf, wie sich der Umgang mit dem Thema im Laufe der Jahrhunderte änderte. „Für beide Haltungen gibt es gute Argumente“, sagt sie diplomatisch. 
„Der Vortrag war super“, findet Elisabeth Prinzler. Doch die Skeptiker seien immer noch skeptisch.  Der Altentreptower Kirchenälteste Axel Kurth etwa, der selbst vier Kinder hat, findet die Frage schwer zu entscheiden. „Es ist eben nicht irgendein Essen, sondern die Tischgemeinschaft mit dem Herrn.“ Bei Paulus im Korintherbrief stehe, dass man dieses Mahl „würdig“ einnehmen müsse. Aber ab welchem Alter könnten Kinder das? „Die Linie finde ich schwer zu ziehen“, sagt Kurth. 
Noch skeptischer ist der Kirchenälteste Gerd Habeck in der Gemeinde Klatzow, die ebenfalls zu Giebels Bereich gehört. „Im Abendmahl nehmen wir Christi Blut in uns auf“, sagt er. Wer das nicht in würdiger Haltung tue, könne laut Paulus sogar krank werden oder sterben. Möglicherweise bringe man die Kinder beim Abendmahl also in Gefahr.
Dass in Klatzow schon seit über 15 Jahren Kinder am Abendmahl teilnehmen, hat für Habeck nichts verändert. Die heutige Pröpstin Helga Ruch hatte damals als Gemeindepastorin mit dem Kirchengemeinderat auf Bitten eines Acht-Jährigen beraten, erzählt sie. „Uns wurde deutlich, dass es keine theologische Begründung dafür gibt, Kinder vom Abendmahl auszuschließen.“ Bei den Pauslusversen gehe es ja nicht um Alter oder Verstand, „sondern um das hartherzige Verhalten einiger Reicher gegenüber den Armen.“  Und immer wieder beobachte sie seitdem, dass Kinder das Abendmahl besonders ehrfürchtig einnähmen.

Was die Nordkirche sagt

Die Lage in der Nordkirche ist indes klar: „Wir empfehlen die vollgültige Teilnahme der Kinder am Abendmahl“ – so steht es klipp und klar in einem Leifaden der Nordkirche zum Gottesdienst mit Kindern. Begründung: Jeder Getaufte gehöre zur Kirche Jesu Christi, darum habe auch jeder Zugang zu den Sakramenten. 
Gleichzeitig dürfen die Kirchengemeinderäte aber anders entscheiden – ein Zugeständnis an die Tradition.Während Kinder in der Antike noch selbstverständlich an den Tisch des Herrn gelassen wurden, wuchs im 11. Jahrhundert die Bedeutung von Bildung und die Scheu vor der Heiligkeit des Sakraments. „Seit dem IV. Laterankonzil 1215 wurde ein über die Taufe hinausgehendes Zulassungskriterium geltend gemacht“, erklärt Theologe Michael Domske aus Halle: Damals hieß es, man müsse zwischen einer profanen Mahlzeit und der Feier des Sakraments unterscheiden können. Altersgrenze: sieben, später zehn bis 14 Jahre. An die Konfirmation gekoppelt wirkte das besonders schlüssig.
Doch seit den 1970er-Jahren gibt es im Protestantismus eine Rückbesinnung: Laut Domske haben neue Erkenntnisse zur „Würdigkeit“ im  1. Korinther (11, 27-29) und ökumenische Impulse bewirkt, dass alle Landeskirchen die Teilnahme von Kindern neu regelten.