Auf der Suche nach dem inneren Frieden

Wie schließt man einen Frieden mit sich selbst? Das Frauenwerk der Nordkirche bietet dazu eine Auszeit für Frauen auf Rügen an. Die Dozentin Marlis Brehmer spricht im Interview über Stress, einen Notfallkoffer – und die Frage, ob Beten hilft.

In Sellin auf Rügen sollen Frauen den inneren Frieden finden
In Sellin auf Rügen sollen Frauen den inneren Frieden findenMario Frost

Frau Brehmer, die Auszeit richtet sich gezielt an Frauen – sind die denn gestresster als Männer?Marlis Brehmer: Jeder ist auf seine eigene Art und Weise gestresst, aber typisch für Frauen heute ist, dass sie auf allen Gebieten perfekt sein wollen. Die Medien und vor allem die Werbung schüren ein Bild der Frau, mit dem sich viele enorm unter Druck setzen: Wir glauben, wir müssten nicht nur beruflich erfolgreich sein, sondern auch makellos schön, sportlich, dauernd am Joggen, perfekt als Mutter. Männer lassen im Schnitt mehr Dinge an sich abprallen, bewerten manche Dinge, die eine Frau Stress nennen würde, auch gar nicht als Stress. Außerdem tragen sie in der Familie meist weniger Verantwortung.
Wie können Frauen sich frei machen von diesem Anspruch, überall Höchstleistungen erbringen zu müssen?
Wichtig ist, sich überhaupt erst mal bewusst zu machen: Was in der Welt da draußen für ein Bild vermittelt wird, ist Wahnsinn, das hat nichts mit der Realität zu tun. Und in unserer Gesellschaft dominiert das männliche Prinzip: aktiv sein, kämpfen, Konkurrenz ausstechen. Eine zutiefst weibliche Qualität ist aber das passive Entspannen, das Annehmen und Empfangen. Wenn wir uns auf unsere Urweiblichkeit besinnen, dann kommen wir wieder in unsere Kraft, dann schaffen wir den Ausgleich zwischen Yin und Yang, Aktivität und Passivität.
Sie sind nicht in der evangelischen Kirche zu Hause, oder?
Nein, ich bin in der DDR ohne Kontakt zur Kirche aufgewachsen. Aber ich beschäftige mich trotzdem gern auch mal mit Bibelgeschichten, frage nach dem Thema hinter dem Thema. Das Kreuz zum Beispiel ist für mich ein Sinnbild dafür, dass der Mensch an die materielle Welt festgenagelt ist, in der Polarität gefangen. Gleichzeitig ist es ein Symbol für die Überwindung der polaren Welt. Ich suche auch immer wieder den Kontakt zur Urkraft allen Seins, ich fühle mich verbunden mit dieser schöpferischen Energie, die alles Leben durchdringt. Damit bin ich Gott vielleicht näher als mancher Getaufte.
Zum Wochenende bringen Sie einen Stress-Notfallkoffer mit. Was ist das?
Der Gedanke hinter dem Notfallkoffer ist meine Überzeugung, dass Dinge wie regelmäßiges Yoga-Üben zwar sinnvoll sein können, dass viele in ihrem dichten Alltag aber etwas brauchen, das schneller wirkt. Darum vermittle ich drei, vier Tipps, wie man in einer Situation, in der man spürt, dass sich Stress in einem ausbreitet – das spürt man ja körperlich –, etwas tun kann. Das ist auch deshalb extrem heilsam, weil Menschen dann lernen, auf sich zu achten, für sich Verantwortung zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass es ihnen gut geht. Wir sind unseren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert.
Was für Tipps sind das?
Ausgehend von der Traditionellen Chinesischen Medizin kann man im Körper zum Beispiel Punkte ausmachen, die sich für die Klopf-Akkupressur eignen, eine Art Akkupunktur ohne Nadeln. Man klopft mit den Fingern bestimmte Punkte auf der Haut – so lange, bis die Angst oder der Stress aus dem Körper verschwunden sind. Das dauert meist nur ein paar Minuten und kann extrem hilfreich sein, wenn es darum geht, mit einer emotional belastenden Situation fertig zu werden oder gar nicht erst in schwächende emotionale Muster einzusteigen. Auch bestimmte Atemübungen oder Qi-Gong-Übungen können helfen – weil sie die Tatsache nutzen, dass Körper, Geist und Seele unmittelbar miteinander verbunden sind, ob wir wollen oder nicht. Wenn man 20 Minuten lang ganz langsam fließende Qi-Gong-Übungen macht, dann ist es zum Beispiel unmöglich, im Geist nicht auch ruhig zu werden! Der Körper folgt dem Geist und umgekehrt. Das ist ein Wissen, das in der Schule leider nicht vermittelt wird.
Was ist, wenn Leute sagen: Bei mir klappt das aber nicht?
Das habe ich noch nie erlebt. Wenn ich einen Workshop gebe, dann bringe ich gewissermaßen ein Buffet an Entspannungstechniken mit. Und dann sucht sich jeder das aus, was ihm hilft. Mindestens eine Sofortmaßnahme findet jeder für sich. Toll ist zum Beispiel auch die alternative Konfliktlösung: Wenn ich mit jemandem Stress habe, ihn etwa als Konkurrenten empfinde oder immer wieder in Streit mit ihm gerate, kann ich mich entscheiden, in das Kampfmuster nicht weiter einzusteigen, sondern innerlich einen Schritt zurückzutreten und mir vorzustellen: Ich schicke ihm Liebe, ich wünsche ihm Gutes. Das kostet vielleicht erst mal Überwindung, aber dann bringt es unglaublich viel in Bewegung.
Wie hilfreich ist aus Ihrer Sicht das Beten, wenn es darum geht, inneren Frieden zu finden?
Das kann sehr hilfreich sein. Wichtig ist, dass man Verantwortung für sich übernimmt und akzeptiert, dass man alles, was man getan hat, selbst gewählt hat – auch das, was man vielleicht unbewusst getan oder unbewusst provoziert hat. Aber wenn es gelingt, gleichzeitig im Beten Dankbarkeit zu entwickeln und Dinge abzugeben, loszulassen, ist das toll. Viele machen das abends, um gut schlafen zu können: alle Sorgen ins Gebet legen und gedanklich an Gott abgeben. Das klingt vielleicht wie ein Widerspruch zur Verantwortungsübernahme, ist aber keiner. Beides ergänzt sich gegenseitig.
Info
„Finde Frieden! Ein Wochenende gegen den Stress“ findet von Freitag, 8. Februar, bis Sonntag, 10 Februar, in Sellin auf Rügen statt. Die Leitung hat Flora Mennicken vom Frauenwerk der Nordkirche. Kosten 125 Euro Vollpension (zuzüglich Kurtaxe). Anmeldung im Frauenwerk der Nordkirche in Rostock.