Arte-Drama zeichnet die Entführung von Jan-Philipp Reemtsma nach

28 Jahre nach der Gewalttat wird die Entführung von Jan-Philipp Reemtsma filmisch aufgearbeitet. Das Drama ist sensibel aus Sicht der Familie – und schonungslos in Bezug auf die Arbeit der Hamburger Polizei.

Gute Filme sind rar, und leider braucht es manchmal dafür eine furchtbare Vorlage aus dem wahren Leben: 28 Jahre nach der Gewalttat wird die Reemtsma-Entführung nun filmisch aufgearbeitet. Die Vorlage fürs Drehbuch zur Koproduktion von Arte, BR und NDR, „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ am 12. April zur besten Sendezeit, bot der gleichnamige autobiografische Roman von Johann Scheerer. Darin verarbeitet der damals 13-jährige Sohn des Erben des 1910 gegründeten Tabakunternehmens diese Zeit. Das Drama ist sensibel aus Sicht der Familie und schonungslos in Bezug auf die Arbeit der Hamburger Polizei.

Detailgenau zeichnet der einfühlsame Spielfilm 33 Tage zwischen Hoffen und Bangen in der Villa in Hamburg-Blankenese nach. Angenehm ist, dass die Autoren Michael Gutmann und Hans-Christian Schmid (auch Regie) mit ihrer Betrachtung der Geschichte bei den Angehörigen des Millionärs und Publizisten bleiben. Sie wechseln nie in die Täter-Perspektive und gehen auch nicht an den Ort des Verbrechens – in „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ wird die Gefühlslage des nicht minder spannenden Vater-Mutter-Sohn-Dreiecks behutsam ausgeleuchtet.

Am Morgen einer Latein-Prüfung, für die Johann Scheerer (Claude Heinze) am Vortag noch sehr widerwillig mit seinem Vater, dem Literatur- und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma (Philipp Hauß) geübt hatte, weckt ihn seine Mutter Ann Kathrin (Adina Vetter) mit den Worten: „Wir müssen jetzt gemeinsam ein Abenteuer bestehen! Dein Vater ist entführt worden!“ Ein zurückgelassener Erpresserbrief mit einer Lösegeldforderung von 20 Millionen Mark, beschwert mit einer scharfen Handgranate, lassen keinen Zweifel: Reemtsma wurde am Abend des 25. März 1996 auf dem Familiengrundstück gekidnappt.

Der Schockzustand äußert sich bei Sohn und Mutter nicht unmittelbar. Beide bleiben besonnen, nehmen tapfer hin, dass ihr Zuhause mitsamt Hund Franz hermetisch abgeschirmt wird. Zunächst klingeln nur zwei Männer, die sich als „Angehörigenbetreuer“ vorstellen und nur bei ihren Decknamen „Vera“ und „Nickel“ genannt werden wollen. In der Folge verwandeln sie die heimischen vier Wände in eine Einsatzzentrale der Polizei.

Zur Vorbereitung des Films haben die Autoren alle Beteiligten, die im Haus zu der Zeit ein- und ausgingen, getroffen und gesprochen. Zum kleinen Kreis gehören Rechtsanwalt Johann Schwenn (Justus von Dohnanyi) und der besonders für Johann väterliche Freund Christian Schneider (Hans Löw). Als einen Schlüsselmoment sieht Hans-Christian Schmid rückblickend die erste Begegnung mit der Psychoanalytikerin Scheerer: „Ihre Offenheit uns gegenüber hat uns gleichzeitig bewusst gemacht, wie groß unsere Verantwortung ist.“

Die Filmemacher erzählen als Außenstehende über die innersten Bereiche einer Familie in einem absoluten Ausnahmezustand. Motiviert habe ein weiteres Treffen, als schon die erste Drehbuchfassung vorlag, wie Schmid sich erinnert: „Frau Scheerer sagte, ‚im Drehbuch steht, dass ich auf dem Polizeirevier einen Zusammenbruch habe. Das stimmt nicht, ich hatte da nie einen Zusammenbruch.'“ Zur Überraschung der Filmer sagte Scheerer aber auch: „Für mich klingt es aber genau richtig so. Genau so habe ich mich zu dieser Zeit gefühlt.“

Obwohl die Kommunikation mit den Tätern und die Geldübergabe seinerzeit minuziös geplant wurden, passierten immer wieder Fehler, die der Film schonungslos zeigt. Schließlich nimmt Reemtsma selbst sein Schicksal per Brief an seine Lieben in die Hand – ohne Polizei hilft ein ihm bekannter Pastor einer Kirchengemeinde als außenstehender Vermittler.

Michael Gutmann und Hans-Christian Schmid ist es gelungen, die Gefühle aller Beteiligten wie unter einem Brennglas auszudrücken. Johann Scheerer gefällt die Inszenierung seines Buchs nach eigenen Worten – auch weil dieser Film seiner Meinung nach die Sprachlosigkeit besser verdeutlichen kann als ein Roman.